Multi-Millionäre mit gigantischer Zukunft
Magnus Schlecht
War das wirklich Vogelgezwitscher? Also, so richtiges Gezwitscher. Nicht eines von Twitter. Tatsächlich. Es dämmerte schon. Die ganze Nacht über platzierten wir Texte, Fotos, Videos, Links, Bildergalerien und was noch nicht alles. Doch jetzt war genug. Noch ein Schluck, dann war es Zeit, unsere Computer herunterzufahren. Wir, das waren PZ-Onlineredakteur Thomas Kurtz, Volontär und junger Spiritus Rector Moritz Homann und ich als damaliger Chef vom Dienst. In dieser magischen Nacht im Jahr 2008 war uns klar: Der Internetseite der „Pforzheimer Zeitung“ wurde neues Leben eingehaucht. Man könnte auch sagen: PZ-news 2.0 war geboren.
Es folgte eine grandiose Erfolgsgeschichte. In der Projektgruppe mit dem damaligen IT-Chef Peter Höllwarth stellten wir alles auf den Kopf und prognostizierten für PZ-News eine maximale Reichweite von 500.000 Visits pro Monat. Vielleicht irgendwann einmal. Heute liegen wir schon seit Jahren bei durchschnittlich zwei Millionen Besuchen. In Spitzenmonaten erzielten wir sogar Werte um drei, vier und einmal sogar fast fünf Millionen Visits. Wir sind mehrfache Millionäre! Wie konnte das passieren?
Etliche Verlage pilgerten in den vergangenen 15 Jahren nach Pforzheim, um dem Erfolgsgeheimnis von PZ-nauf die Spur zu kommen. Fast alle Medienhäuser in Deutschland vergleichbarer Größe leckten sich die Finger nach solchen Reichweiten und unseren Vermarktungserfolgen. Warum wir so gut waren und sind, hat in erster Linie ganz viel damit zu tun, wie PZ-news tickt: Alles wollen, alles ausprobieren, alles so gut und so schnell wie möglich!
Mit Videoformaten wie „Das Frühstücksfernsehen“, „Einwurf – dIe Sportshow“ oder „Kochen mit Roy“ waren wir unserer Zeit lange Jahre voraus – so lange, dass wir alles wieder einstellten, weil es sich nicht mehr lohnte. Wir haben das Podcast-Format erfunden. Okay, wir behaupten das immer nur, weil wir schon damals Kommentare von unseren Redakteurinnen und Redakteuren einsprechen ließen. Erfunden haben wir auch den eSport, als wir im Jahr 2010 die komplette Fußball-Weltmeisterschaft von Fußballvereinen der Region an Video-Konsolen durchspielen ließen. 2014 begann unser Projekt „Augmented Reality“ oder „AR“, bei dem Fotos in der Zeitung per Video zum Leben erweckt wurden. Ein paar Monate später stellten wir es wieder ein, weil die Leserinnen und Leser das Angebot nicht genutzt hatten. Heute gilt „AR“ als wichtiger Baustein des künftigen Internetzeitalters. Oder Sobble. Mit der Social-Media-App wollten wir die Internetwelt erobern und mit dem Wort „sobbeln“ im Duden aufgenommen werden. Ach ja, und Facebook sollte uns „Sobble“ für einen Milliarden-Betrag abkaufen. Alles nur Spaß…Am Ende konnten wir Facebook lediglich ärgern. Der Internetkonzern untersagte die Weiterverwendung seiner Posts. Sobble war daraufhin tot – nur auf meinem Smartphone, da gibt es die App noch…ohne Inhalte.
Ja, nicht alles war von Erfolg gekrönt. So ging zum Beispiel auch die Internetseite bei der Liveübertragung des Wahl-Studios aus dem Pforzheimer Rathaus in die Knie. Und das lag nicht am überraschenden Triumph von Gerd Hager über Amtsinhaberin Christel Augenstein. Auch mit unserer PZ-App vor zehn Jahren waren wir zwar Vorreiter, mussten sie aber auch immer wieder optimieren. Heute schauen sich die „Großen“ der Branche unsere Technologie und Konzeption ab.
Alles wollen! Alles ausprobieren! Alles so gut und so schnell wie möglich…Bei der Vielzahl an digitalen Möglichkeiten heutzutage, besonders in der Social-Media-Welt, gilt das umso mehr. Doch es ist alles nichts, wenn der Inhalt nicht stimmt und nicht in den richtigen Kanälen ausgespielt wird. Denn nur so sind und bleiben wir relevant für alle – egal, ob sie Zeitung lesen, auf PZ-News surfen oder auf Facebook, Instagram oder TikTok unterwegs sind. Voraussetzung dafür ist, dass Spirit auf Kompetenz trifft. Oder dass das Mindset stimmt, wie man heute sagt – allen voran in der Redaktion und in der Vermarktung, aber auch in der IT, im Marketing und natürlich in der Geschäftsleitung. Sie war immer bereit, in Innovation und Personal zu investieren. Gleichzeitig ist bis heute ihre Erwartungshaltung an die PZ-Onlinewelt hoch. Fast überall wollen und müssen wir dabeisein – wenn es zu uns passt und uns weiterbringt. Denn die Zukunft ist digital und digital und digital, auch wenn es Print durchaus noch lange geben wird.
Und nun? Was kommt noch? Oder anders: Wie schaut PZ-news in 25 Jahren aus, wenn das 50-jährige Bestehen gefeiert wird? Die Fachwelt ist sich uneins, wohin sich das Internet entwickeln wird. Einig ist man sich nur darin, dass sich alles in den kommenden Jahren nochmal extrem verändern wird. Das so genannte Web3 wird das Netz zu einem gigantischen Raum der Möglichkeiten machen, in denen die Userinnen und User selbst entscheiden werden, wie ihre Onlinewelt aussehen wird. Vielleicht entsteht ein Metaverse mit virtueller Realität (hatten wir das nicht schon mal?). In dieser Realität könnten die Menschen in Pforzheim und der Region die PZ-news-Nachrichten von Avataren, also virtuellen Grafikfiguren, die zum Beispiel dem heutigen Verleger und Herausgeber Albert Esslinger-Kiefer oder dem Geschäftsführenden Verleger Thomas Satinsky nachgeahmt sind, quasi persönlich mitgeteilt bekommen. Die Userinnen und User könnten sich auch in virtuelle Redaktionskonferenzen hinzuschalten und über die Nachrichtenauswahl mitdiskutieren. So oder so ähnlich könnte es kommen. Vielleicht früher, als so manchem lieb ist. Und natürlich würde dann die Jubiläumsparty nicht nur wie am Freitagabend in der Müssle Weinbar am Leo stattfinden, sondern eben auch in einem der vielen künstlichen Räume im Internet…so lange, bis es dämmert und die Vögel zwitschern.